Musikalische Performanz im medialen Spektrum päpstlicher Repräsentation um 1500

Musikalische Performanz im medialen Spektrum päpstlicher Repräsentation um 1500

Organisatoren
Institut für Musikwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.05.2012 - 11.05.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Werthmann, Institut für Musikwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Im Fokus der troja-Tagung 2012 stand die von Umbrüchen geprägte Phase der päpstlichen Kapelle in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Insbesondere sollte die Rolle des musikalischen Repertoires der Kapelle innerhalb des Gesamtspektrums päpstlicher Inszenierung in den Blick genommen werden. So widmeten sich die Referate allgemeinen Aspekten der Papstrepräsentation, unterschiedlichen Ansätzen zur Verortung von Musik in diesem Kontext und auch konkreten musikalischen Fallbeispielen. Das Symposium wurde von Klaus Pietschmann konzipiert. Nicole Schwindt (Trossingen) übernahm die Moderation und die Vorstellung der Referenten.

Jürgen Heidrich (Münster) eröffnete die Tagung. Klaus Pietschmann gab sodann eine kurze Einführung, in der er die Musik als eine zentrale repräsentative Komponente im Papsttum des betrachteten Zeitraums herausstellte. Geprägt wurde diese Zeit vor allem durch eine Neuformierung der päpstlichen Kapelle durch Sixtus IV. – nicht zuletzt auch in sichtbarer Form durch den Bau der Sixtinischen Kapelle.

Der öffentliche Abendvortrag wurde von dem Historiker NIKOLAUS STAUBACH (Münster) gehalten, der auf Fragen der Papstrepräsentation im Zeitraum zwischen Schisma und Reformation einging. Der in Verruf geratene Papsthof, der zum Inbegriff von Verschwendung und Laster geworden war, sollte durch Reformen eine positivere Reputation erhalten. Staubach ermittelte drei im Reformdiskurs des 15. Jahrhunderts entstandene Reformmodelle: Als erstes nannte er die Virtus-Repräsentation, ein Assimilationsmodell, das von einer Vorbildfunktion des Papstes und der Geistlichkeit für das Volk ausgeht, die somit durch Tugendhaftigkeit, Bescheidenheit und makellosen Lebenswandel ein Exempel statuieren mussten. Das zweite Modell ist die Majestas-Repräsentation, ein Distinktionsmodell. Dieses betont die positiven Eigenschaften des Geldes und auch dessen Erforderlichkeit für die päpstliche Repräsentation, für die Autorität und Prachtentfaltung essentiell waren. Als drittes stellte Staubach die Indulgenzpropaganda, ein Partizipationsmodell, vor, das vor allem den Gedanken des Ablasses beinhaltet. So fand etwa die Institution des Jubiläumsablasses bei Staubach Erwähnung.

Der zweite Tag des Symposiums begann mit einer Einführung von KLAUS PIETSCHMANN (Mainz), der die Rolle der Musik am Papsthof und deren mediale Komponenten thematisierte. Dabei identifizierte er einen mehrschichtigen Medialisierungsvorgang in der Musik, der beispielsweise durch eine mediale Repräsentation des himmlischen Lobgesangs ausgezeichnet war. In diesem Zusammenhang erwähnte er die von Johannes Tinctoris komponierte Huldigungsmotette für Alexander VI. Gaude Roma vetus. Pietschmann betonte darüber hinaus, dass die Rolle der Musik im medialen Diskurs der Epoche erst in neueren Untersuchungen in den Blick genommen wurde und dass die Erforschung zum Teil noch aussteht, gerade auch bei Fragen zum päpstlichen Hof.

Die Kunsthistorikern PHILINE HELAS (Rom) ging sodann mit einem Vortrag über Musik als Gegenstand der Malerei auf die bildliche Ebene der Repräsentation ein. Dabei konzentrierte sie sich dem Schwerpunkt der Tagung entsprechend auf Material in Rom im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts. In dieser Zeit sei eine Zunahme von musikdarstellenden Kunstwerken zu bemerken. Grund für diese Entwicklung war die neue gesellschaftliche Rolle des Musizierens, das Teil der humanistischen Bildung war. Helas veranschaulichte anhand verschiedener Fresken, im stetigen Bezug auf mögliche Auftraggeber, die visuelle Repräsentation von Musik. So erwähnte sie etwa das Appartamento Borgia, in dem die größte Ausmalung der sieben freien Künste durch Fresken im 15. Jahrhundert gemacht worden ist. Auch der Topos der musizierenden Engel war weit verbreitet. Des Weiteren ging es im Vortrag um die Darstellung von Instrumenten in verschiedenen Kunstwerken. Die anschließende Diskussion drehte sich vor allem um etwaige Diskrepanzen zwischen den erhaltenen Bildzeugnissen und der musikalischen Wirklichkeit. Insbesondere das in schriftlichen Quellen der gleichen Zeit überlieferte Bild von Musizierpraxis steht der Darstellung in Gemälden entgegen.

MELANIE WALD-FUHRMANN (Berlin) widmete sich in ihrem Vortrag der Funktion von Musik in sowohl geistlichen als auch weltlichen Zeremonien, wobei vor allem der Zusammenhang zwischen musikalisch-ästhetischer Form und zeremonialer Funktion untersucht werden sollte. Dabei bezog Wald-Fuhrmann neben rein musikalischen Aspekten auch das ganze Spektrum des Klangs bzw. des Geräusches ein. Als Quellen dienten ihr die protokollarischen Zeremonialtexte der päpstlichen Zeremonienmeister, die sie auf Hinweise auf akustische Ereignisse allgemein untersuchte. Aber auch die polyphone Musik im Speziellen kam zur Sprache, die in den Zeremonialtexten wenig, und wenn überhaupt dann nur negative Erwähnung fand. Grund für die wenigen Belege sei die Tatsache, dass die Polyphonie zwar repräsentativ, zeremoniell aber nicht notwendig war. Somit gebe es in den Zeremonialtexten auch keine Hinweise auf Musikhandschriften oder teuer bezahlte Komponisten. In der folgenden Diskussion ging es in erster Linie um die Rolle der Zeremonienmeister und die Frage, inwieweit die Polyphonie überhaupt in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. So ist davon auszugehen, dass sie vielmehr in den Aufgabenbereich der Sänger fiel und daher in den Berichten keine Beachtung fand.

Im Anschluss daran ging JÖRG BÖLLING (Göttingen) auf Motetten am Papsthof der Renaissance ein. Dabei betonte er das besondere Problem, das die Forschung im Zusammenhang mit der Verwendung von Motetten hat. So mache etwa der Zeremonienmeister Paris de Grassis wesentlich mehr Aussagen zu Messen. Darüber hinaus werden in der Zeremonialliteratur einige Motetten genannt, die nicht mehr überliefert sind (wie etwa die Alexander VI. gewidmete Motette des Tinctoris), andererseits tauchen bekannte Stücke überhaupt nicht auf. Bölling verortete die Motette am Papsthof zwischen kirchlicher Liturgie und korporativer Frömmigkeitspraxis. Als ersten Anhaltspunkt nannte er die Institutionalität der Korporation: Die Sängerkapelle machte sich durch regemäßige Aufführung polyphoner Werke als tragende Institution bemerkbar, in der die Sänger auch zu Messen und Stundengebeten verpflichtet waren. Als weitere Punkte nannte Bölling die Schriftlichkeit der Komposition sowie die Performanz von Korporation (zum Beispiel Prozessionsordnungen) und Komposition. Zur Frage nach dem Erklingen der Motetten erwähnte Bölling auch die Möglichkeit, dass sie außerhalb der Zeremonie, als musica reservata im päpstlichen Palast bzw. in privaten Gottesdiensten der Sänger erklungen sein könnten. In der Diskussion wurde vorrangig das Erklingen von Motetten in der Liturgie thematisiert, bei der insbesondere das Offertorium die Möglichkeit bot, eine Motettenkomposition einzufügen.

FABIAN KOLB (Mainz) setzte sich mit papstbezogenen Kompositionen zur Zeit des Schismas auseinander, lieferte also gleichsam auch einen Überblick zur Vorgeschichte zum eigentlich behandelten Zeitraum der Tagung. Er erwähnte Ulrich von Richentals Chronik des Konstanzer Konzils und hob die dort dokumentierte hohe Bedeutung der Musik für das Konzil hervor. Dabei kamen auch in der Chronik enthaltene ikonografische Aspekte zur Sprache. Anschließend ging Kolb auch in analytischer Herangehensweise auf papstbezogene Kompositionen zwischen Philippe de Vitry und Guillaume Dufay ein, wobei er verschiedene mediale Ebenen der Performanz – die musikalische Struktur, den auditiven Klangeindruck, die visuelle Komponente – ausmachte und zum jeweiligen päpstlichen Widmungsträger in Bezug setzte. So erwähnte Kolb beispielsweise de Vitrys Huldigungsmotette für Clemens VI. und deutete auf die machtpolitische Relevanz des Textes und die Bedeutung der Intervalle in diesem konkreten Kontext hin. Die Diskussion verstärkte noch das Bild der medialen Mehrschichtigkeit der Kompositionen. Besonders die Bedeutung der visuellen Erfahrung des Notentextes, gipfelnd in der ars subtilior, wurde hervorgehoben.

Im folgenden Referat ging THOMAS SCHMIDT (Bangor) vertiefend auf Zeremonialmusiken ein. Er verdeutlichte den ephemeren Charakter dieser Werke und die daraus resultierende Problematik, derartige anlassbezogene Stücke in den Handschriften der Cappella Sistina zu finden. Dabei thematisierte Schmidt auch die Gründe für das Aufzeichnen von Zeremonialmusik. Aufzeichnungen sind in zwei Quellenarten auffindbar: in retrospektiven Sammlungen und in Spezialquellen. Für die dürftige Überlieferung am Papsthof sei unter anderem die Tatsache, dass der Papst nicht als Individuum gehuldigt, sondern lediglich das Amt und nicht die Person gefeiert werden sollte, zentral. Auch wurden viele der Kompositionen nicht der Praxis der päpstlichen Kapelle für angemessen gehalten und daher nicht in den Fondo der Cappella Sistina aufgenommen. So gebe es vereinzelt Huldigungsmotetten mit Papstbezug – etwa von Heinrich Isaac –, die nicht im Rahmen des päpstlichen Zeremoniells aufgeführt wurden und somit auch nicht in den Fondo gelangten. Eine andere Motette von Isaac hingegen ist aber sehr wohl dort vertreten. Schmidt kam daher zu dem Schluss, dass monokausale Erklärungen für das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein eines Werks im Repertoire der Sixtinischen Kapelle zu kurz greifen und mehrere Faktoren eine Rolle spielen. In der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um die Frage, inwiefern ephemere Motetten überhaupt ihren Adressaten erreicht haben.

Der abschließende Vortrag der Tagung wurde von AGNESE PAVANELLO (Salzburg) gehalten. Sie widmete sich einem konkreten Fallbeispiel, den Kompositionen Gaspar van Weerbeckes. Dieser trat, nach seiner Zeit als Komponist am Sforza-Hof in Mailand, der Sixtinischen Kapelle im Jahr 1481 bei, was ihm einen prestigeträchtigen Status verschaffte. Van Weerbecke kam genau zu der Zeit, als Sixtus IV. die Umstrukturierung der päpstlichen Kapelle vornahm. Dem Komponisten kam hier eine wichtige Rolle bei der Kapellreform des Papstes zu. Pavanello ging sodann auf im Repertoire der Cappella Sistina überlieferte Werke van Weerbeckes sowie auch auf Drucke bei Ottovanio Petrucci in Venedig ein. Die im Druck überlieferten Motetten seien jedoch nicht im Fondo überliefert. Dieser enthält auch insgesamt nur zwei Motetten van Weerbeckes. Pavanello widmete sich der Frage, inwieweit van Weerbecke in seiner Rolle als päpstlicher Komponist auch in der Überlieferung involviert war. Möglicherweise war er einer der ersten Sänger in der Cappella Sistina, der mit einer solchen Aufgabe betraut wurde. In der Diskussion wurde nochmals die wichtige Bedeutung van Weerbeckes als ein Mitaufbauer des Repertoires der päpstlichen Kapelle unterstrichen.

Abschließend gab Klaus Pietschmann eine Zusammenfassung der durch die Tagung gewonnenen Erkenntnisse. Dabei machte er deutlich, dass durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema auch viele neue Fragen entstanden seien. Als ein bleibendes Problem erwähnte er die Tatsache, dass die im Abendvortrag von Nikolaus Staubach dargelegten Reformmodelle zur päpstlichen Repräsentation oftmals wider Erwarten keinen Bezug in der musikalischen Praxis finden. So gehe etwa die Zeremonialliteratur in keiner Weise auf die zu erwartende musikalische Repräsentation der majestas papalis ein. Auch die Verortung und Greifbarkeit der Motette in solchen Zusammenhängen erwies sich als äußerst schwierig. Erklärungsversuche boten die Vorträge des Nachmittags, indem sie vom Repertoire selbst ausgehend nach Antworten suchten. So kam ein breites Spektrum von Lösungsansätzen zur Verortung von Musik innerhalb päpstlicher Repräsentation zustande.

Die troja-Tagung 2012 brachte insgesamt also eine sehr facettenreiche Rolle der Musik innerhalb der Papstrepräsentation des ausgehenden 15. Jahrhunderts zum Vorschein. Die zahlreichen Ansätze, zum Teil auch in interdisziplinärer Herangehensweise, boten viele Perspektiven für die weitere Forschung über diese bedeutende Phase der päpstlichen Kapelle.

Der Tagungsband wird 2013 im Bärenreiter-Verlag Kassel unter dem Reihentitel troja. Jahrbuch für Renaissancemusik als Band 11 erscheinen. Herausgeber ist Klaus Pietschmann.

Konferenzübersicht:

Nikolaus Staubach (Münster): Pastoris vita exemplum est aliis. Päpstliche Repräsentation als Instrument der Kirchenreform

Klaus Pietschmann (Mainz): Eröffnung und Einführung

Philine Helas (Rom): Musik als Gegenstand der Malerei im Rom der Renaissance

Melanie Wald-Fuhrmann (Berlin): In Straße, Kammer und Kapelle: Strategien des Einsatzes von Klängen und Musik am Papsthof

Jörg Bölling (Göttingen): Zwischen kirchlicher Liturgie und korporativer Frömmigkeitspraxis. Motetten am Papsthof der Renaissance

Fabian Kolb (Mainz): Zwischen Hermeneutik und Präsenz. Raum-, Zeit- und Medialitätskonzepte in papstbezogenen Kompositionen zur Zeit des Großen Schismas 1378–1417

Thomas Schmidt (Bangor): Die Verschriftlichung des Ephemeren. Päpstliche Zeremonialmusiken in der Überlieferung

Agnese Pavanello (Salzburg): Zu den Funktionsspektren der Kompositionen Gaspar van Weerbeckes für die päpstliche Kapelle


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts